Seiler's Werbeblog

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Script

Andreas Panzeri «Die Invasion der Drehbuchautoren»

Ein paar Werbetexter haben es geschafft: Martin Suter und Thomas Meyer zum Beispiel. Viele träumen davon: I, J sowie K. Und eine ganze Industrie lebt davon: Schreibkurse boomen wie kaum ein Geschäft im Bereich der kreativen Ausbildung.
Der erste war wohl Frank Wedekind. Er hat bei der alten Maggi im Kemptthal 1887 Werbetexte für Fertigsuppen getippt und später literarische Meisterwerke wie „Frühlingserwachen“ und „Lulu“ auf die Bühnen dieser Welt gebracht. Wedekind textete, weil er nicht Jurist werden wollte und ihm sein Vater deshalb das Studiengeld gestrichen hat.

Derart dramatisch in ihren Beruf hinein gestolpert sind heute nur noch wenige Werbetexter. Aber nach wie vor unzählige träumen davon, dass aus der Headline mit fünf Wörtern später einmal ein Roman von 200 Seiten werden könnte. Oder im Zeitalter des bewegten Bildes noch besser ein Drehbuch.

Ausgewählte 50 solcher Drehbuchautorinnen und Autoren der Zukunft haben anfangs Oktober in einem Kurs von Focal – das ist die Stiftung Weiterbildung Film und Audiovision, im Zürcher Seefeld ein Weekend lang gelernt, wie man eine TV-Serie schreiben muss, damit sie beim Publikum ankommt. Beim Schweizer Fernsehen wird man sich bereits die Hände reiben. Obwohl die Verantwortlichen schon im März 2014 mehr als 300 Treatments auf ihren Pulten hatten, die aus einem öffentlichen Ideenwettbewerb für eine neue Serie hervor gegangen sind. Die meisten davon sind gleich dem Bestatter übergeben worden. Drei wurden weiter verfolgt und ein Finalist lauert jetzt in der Pipeline für die Finanzierung. Beim diesjährigen Treatment-Wettbewerb des Zurich Film Festival sind über 40 ausgearbeitete Ideen eingegangen.

50 angehende Autoren beim Focal Kurs in Zuerich

Schreiben ist offensichtlich ein Traum. Oder vielleicht doch eher ein Albtraum?
Im zweiten Fall gibt es bereits diverse Coaching-Angebote, welche den Traum richtig deuten wollen. Lass den inneren Kreativling heraus und lass ihm endlich das nötige Kraftfutter zukommen. Etwas sachlicher ausgedrückt wirbt in Basel ein Marc Oberer, dass „Talente leben eine Kompetenzentwicklung ist“. Von einer anderen Schreibschule ist zu hören; „Es schadet nicht, ein wenig verrückt zu sein, um diesen Beruf auszuüben.“ Hier geht es vorerst um das Werbetexten. Gelockt wird mit neuen Berufen wie Content-Manager oder Online-Redaktor. Diese sollen langweilige Inhalte für ungeduldige Besucher interessant machen.

Ein Text ohne Spannung ist langweilig
Das haben die 50 Ambitionierten anfangs Oktober im Seefeld tatsächlich lernen können. Ihr Lehrmeister war John Truby. Der Script Doctor aus Hollywood tourt rund um den Globus mit seiner Theorie von „The 7 Key Steps of Story Structure“. Mehr als 40 000 Lernwillige haben bis jetzt seine Masterclass „Anatomy of Story“ besucht. Die Referenzen sind überzeugend: 15 Milliarden Dollar sollen bis jetzt die Drehbücher all seiner Zöglinge eingespielt haben. Kein Fake diese Werbung, wenn man recherchiert, dass auch die Erfinder von „Star Wars“, „Sleepless in Seattle“, „Pirates oft he Caribbean“ sowie „X-Men“ I bis III das Handwerk bei John Truby gelernt haben. Am Kurs in Zürich waren auch fünf bekannte Werber auszumachen. Wir dürfen uns überraschen lassen.

Noch mehr Jungtalente vermag seit Jahren Robert McKee anzuziehen. Nach einer Karriere im Theater von Shakespeare bis Broadway wurde er Professor an der University of Southern California und hat 1984 sein eigenes Institut für Drehbuchautoren gegründet. Seinem „Story Seminar“ kann man aber nicht nur in Hollywood beiwohnen. Ob in London, Beijing, Mumbai, Tel Aviv, Oslo, Rio de Janeiro oder Paris: Fast wöchentlich wird irgendwo auf der Welt ein Seminar mit Robert McKee angeboten. Bei einer Teilnahme von durchschnittlich 200 Filminteressierten zu 600 Dollar und mehr generiert McKee pro Weekend mindestens 120 000 Dollar. Dafür darf man sich als sein Schüler unter Klassenkameraden fühlen, die gemeinsam bis jetzt 63 Oscars oder 164 Emmy Awards gewonnen haben.

Im Normallfall der Hoffnung kauft jeder zweite Kursteilnehmer anschliessend noch Software oder Bücher für rund 200 Franken. Hat man einmal bestellt, wird man vom Writers Store, „The Premier Ressource For Writing and Filmmaking Tools“, beinahe täglich mit einem Mail für einen weiteren Talentkurs beehrt. Als Frischlinge unter den Dozenten empfehlen sich Rebecca Norris, Peter Russel, Raffaele DiBacco und täglich wieder neue.

Da nicht jeder Berufseinsteiger das Rüstzeug für einen Blockbuster hat, laufen unzählige Kurse inzwischen auch unter den Titeln „Creating Viral Web Series“, „Creating The Short Film“ oder dem Trend folgend immer breiter abgedeckt auch „Storytelling“ für ganz profane Werbezwecke.

Script Doctor John Truby bei seinem Kurs in Zuerich

Von der banalen Alltagsnotiz zum Click-Champion
Und der Markt? Eine Agentur Textbroker.de wirbt als „weltweit führende Online-Plattform“ mit einem Zugriff auf „tausende freie Autoren“. Auch Supertext in Zürich und Berlin wird gemäss Rinaldo Dieziger täglich überschwemmt mit Anfragen von freien Textern und hat bis jetzt 600 Profis als gut befunden und ins Portfolio aufgenommen.

Dass es nicht gleich Hollywood sein muss, gehört auch bei der Schreibszene.ch zum Programm. „Gute Texte haben immer Konjunktur“, wirbt die noch junge Organisation für ihre Kurse. An 13 Kursorten in der Schweiz werden diese bereits angeboten. Die Chancen der zukünftigen Autoren sind intakt: Neue Verteilkanäle wie Amazon lassen die qualitative Zensur des Verlegers umgehen. Und natürlich gibt es auch schon diverse Kurse, wie man sein Buch im Selbstverlag in den sozialen Netzwerken am besten promotet.

Erweist sich der Traum vom eigenen Roman doch als zu ambitioniert, gibt es auch Schreibkurse, wo jede Absolventin und jeder Absolvent zum Schluss wenigstens ein „Romänchen“ auf der Festplatte hat. Und dieses Ding wird dann tatsächlich gedruckt: Aus dem halben Dutzend „Romänchen“, die pro Kurs abfallen, macht die Schulleitung einen gedruckten Sammelband. Dieser bekommt eine ISBN und wird im Verzeichnis der lieferbaren Bücher registriert. Der Preis für diese sicher kurzweilige Selbstverwirklichung: Fünf Samstage und 2000 Franken, inklusive gedrucktes Buch.

Sucht man bei all diesen Schreiblehrgängen nach einem gemeinsamen Nenner, so kann man nicht übersehen, dass fast überall die Motivation über ein grosses Vorbild gestärkt werden soll. Eine Spannung nach dem Vorbild von Hitchcock ist dabei ein garantiertes Rezept. Aber es gibt auch noch ein paar andere Namen, die hier zum Schluss dieses Artikels Mut zum beruflichen Aufstieg vom Werber zum Literaten machen sollen und deshalb nicht unerwähnt bleiben dürfen:

Der Wiener Autor Wolf Haas jobbte als erfolgreicher Werbetexter bei Demmler und Merlicek, bevor er mit seiner sechsbändigen Simon-Brenner Reihe mehrere deutsche Krimipreise abgeräumt hat. In der Schweiz wären Domenico Blass, Robert Stalder, Helmi Sigg, ganz früher schon Markus Kutter oder eben Martin Suter und Thomas Meyer zu nennen. International sind Bestsellerautoren wie Eric Ambler („Topkapi“), William S. Burroughs („Naked Lunch“), Samlan Rushdie („Die satanischen Verse“) Joseph Heller („Catch 22“), Terry Gilliam (Film „Time Bandits“), Peter Carey („Amnesia“) in ihren Anfängerjahren noch namenlose Copy Writer gewesen.

 

© Andreas Panzeri

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