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Michael Kathe: Seiler's Werbeblog

Michael Kathe «Michael rezensiert #7»

Michael Kathes Rezensionen sind fester und viel beachteter Bestandteil von Seiler’s Werbeblog.
Die pointierten Analysen des Creative Directors lesen sich ausgesprochen gut. Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Wir sind bereits in Runde 7 angekommen. Vorhang auf!

***Ikea: A good listener.
Ikea schmiegt sich immer sanfter an das reale Leben. Der neue Spot der schwedischen Agentur Akestam Holst für den Möbelgiganten entspinnt eine sanfte Geschichte zwischen Tochter und Vater, in der uns der respektvolle, erwachsene Umgang des Vaters das Herz öffnet. Offenbar hat das etwa 15-jährige Mädchen Probleme, die es nicht mit dem Vater besprechen will. Es folgt das perfekte väterliche Verhalten: Nicht drängen, sondern warten, bis die Tochter freiwillig kommt. Aber stets die Bereitschaft signalisieren, dass man sich gerne der Probleme annimmt.

So baut sich eine vertrauensvolle Beziehung auf – und am Ende des Spots sind wir tief berührt. Weil für einmal fortschrittliches, verständnisvolles Verhalten emotional aufgeladen wird. Übrigens schon wieder in einer Familienkonstellation, in der wir von einer Trennung der Eltern ausgehen können. Ikea ist wirklich „where life happens“ – und mausert sich damit viel mehr zum Lovebrand als Marken, deren emotionale Geschichten eine allzu harmonische Welt wiedergeben.


**SAS: Travelers think big.
Ein Vater lehrt seiner Tochter das Velofahren. Während sie wegrollt, imaginiert er das Abheben in andere Welten. Er spricht von all den Möglichkeiten, die das Reisen erst ermöglicht: woanders essen, shoppen, Menschen kennen lernen, Liebesbeziehungen, vielleicht Kinder, vielleicht keine, vielleicht Fische fangen oder Karriere machen – das pralle Leben eben, egal, welchen Weg es einschlägt. Ein schier unaufhörlicher, inspirierter Wortschwall aus dem Moment heraus, der all die alten Werte, welche die Elterngeneration noch mit Fliegen verband, aufgreift und durchkonjugiert. Der Vater lässt aufleben, dass Fliegen dereinst das Abenteuer eines Lebens sein konnte. Gerade weil das Töchterchen noch früh genug merken wird, dass Fliegen heute nur noch zur anstrengenden, nervigen und zeitverschlingenden Reisepflicht verkommen ist.

Ah ja, mit der wunderbaren Vielleicht-so-oder-vielleicht-so-Rhetorik werden von Paps auch gleich alle möglichen und unmöglichen Zielgruppen angesprochen.


**Alibaba Singles Day bzw. Double 11.
Nicht der Black Friday ist der grösste Einkaufstag weltweit, sondern der 11. November. An diesem sogenannten „Singles Day“ bzw. „Double 11“ führt nämlich die Alibaba-Gruppe aus China ihr E-Commerce-Ausverkaufsfestival durch. Letzten elften gaben Käufer in 24 Stunden 17.8 Milliarden Dollar aus auf Alibaba-Plattformen. Schauen wir den Ankündigungsspot an, gibt es einen Treiber für die gigantischen Zahlen: Brands. Die Menschen wollen Brands günstig kaufen.

Der Ankündigungsspot von Fred & Farid Schanghai zielt voll auf diese Brands und, vor allem, auf ihre Versprechungen ab – indem er all die tollen Claims hintereinander stellt und zu einem Monstersatz verknüpft. So erhalten wir quasi das Überversprechen des Massenkonsums, das da (mit Ausnahme von rund 5 chinesischen Claims) lautet: „I will change destiny, you can be anything always in beta. Capture different, delighting you always. Live in the best a man can get. Life’s good – we break the rule. Keep walking, ready for more. Forward thinking, never stop exploring. Just do it.“ Diese Kaufimperative sind nicht einfach eine Kakophonie des Lebens – sondern spiegeln die Weltsicht des nach vorne preschenden Kapitalismus, der Handeln (just do it) vor Denken stellt und in dem sich der uramerikanische „Pursuit of Happiness“ inzwischen global wiederfindet. Ein Spot für Slavoj Zizek.


*Apple Music: Drake vs. Bench Press
Worin sich Apple Music und Spotify unterscheiden, sieht man erst, wenn man mit einer Playlist Sport treibt. Die Apple Music Playlists sind offenbar so gut, dass sich Drake und Taylor Swift aus Enthusiasmus zum Affen machen und vom Laufband fallen (Taylor Swift) oder die Hantel fallen lassen (Drake). Und das witzigerweise in je einem Spot zum Song des anderen. Musik funktioniert hier nicht mehr rein funktional, also als perfekter Galeerenbeat, der zur sportlichen Aktivität antreibt, sondern vermittelt so viel Lebensfreude, dass Superstar Drake vor lauter Elan wie Taylor Swift herumtanzt, beziehungsweise Superstar Swift wie Drake mit den Armen wedelt. Bis zum Malheur, denn die Musik ist „distractingly good“.

Kann Popmusik noch die Welt aus den Angeln heben (wie das die Vision von Pop in den Sixties glaubhaft vermittelte)? Apple Music mit Apples Hippie-Heritage würde das gern erzählen, doch glaubhaft wäre das nicht. Somit reduziert sich die Sprengkraft der Popmusik heute darauf, mit einer guten Playlist wenigstens durchgetaktete Sport-Trainings etwas zu stören.



**Harvey Nichols, Winter 2016: Britalia
Harvey Nichols dreht den Brexit-Spiess um und zeigt, wie es wäre, wenn das High-Class-Einkaufshaus sich schamlos an Italienischen Luxusgütern bedienen würde. Das nennt sich dann Britalia und führt zum italienisch-überkandidelten Drama unter alt-aristokratischen Italienern. „Talk in Italian“, Englisch untertitelt. Alles wird ihnen weggenommen: von Valentino-Roben, Versace-Männerunterhosen bis hin zur Durante Artisan Pasta. Nach dem Motto: (Wenigstens) den Südeuropäern zeigen wirs. Feinstes Wundwasser für die britische Seele, ein perfekter „Let’s make Great Britain great again“-Spot. In alter Kolonialismus-Manier wird ein Land geplündert und (eher unbritisch) dessen Oberschicht gedemütigt, die hochemotional und unvernünftig darauf reagiert: „Einer muss dafür büssen. Wer ist dieser Harvey Nichols?“ Eine britische Institiution, Dumpfbacke!

© Michael Kathe

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