Seiler's Werbeblog

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Nike

Michael Kathe «Nike-Unlimited»

Olympisches Storytelling.
Donald Trump will Mauern errichten, in Europa existieren seit einem Jahr wieder Grenzen allerorten. Doch Nike’s Kampagne rund um Rio 2016 heisst „Unlimited“ – also schrankenlos, grenzenlos. Und ist ein Meisterstück in Sachen Storytelling.

Wir verspüren immer noch einen grossen Rest Aufklärung und Wunsch nach einer offenen Gesellschaft in uns. Nach Ausbruch aus den Mauern. Darum funktioniert die „Unlimited“-Utopie von Nike so perfekt, die für die Olympischen Spiele umgesetzt wurde. Nicht mehr der „Ich kann mich noch mehr quälen“-Just-do-it-Masochismus , der Ende der Neunziger den Weltgeist so präzise traf.

Zu den olympischen Spielen in Rio werden in uns Wünsche nach Grenzerfahrungen angesprochen. Dem grössten Sportartikel-Hersteller der Welt geht es um nichts Geringeres als seine wichtigste Werbeplattform der kommenden vier Jahre. Die Sportbegeisterten sollen ebendies sein: sportbegeistert, weil sie damit Grenzen sprengen können.

Zwei Wochen vor den Olympischen Spielen in Rio präsentiert uns Nike mit dem Auftaktspot „Unlimited Future“ aber erst einmal die Grenzen und Härten dieser Welt: eine Welt, in der jeder auf sich selbst gestellt ist und in der jeder für sich selber kämpfen muss (wenn er nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde), eine neoliberale Welt, für welche die Spitzensportler hier sinnbildlich stehen:

Der Spot zeigt pure Einschüchterung und unmenschliches Verhalten: die Superhelden unserer Zeit werden schon als Babies gedrillt und zu harter Selbstoptimierung angehalten. „Life’s not fair“ lautet der erste Satz des Erziehers, der den Schalk eines Showmans aufweist. Menschenkinder haben keine sozialen Starthilfen, kein Zuhause mehr – und das nicht nur, wenn es sich wie im Fall von Mo Farah um Flüchtlinge handelt. Wieden & Kennedy Portland haben einen hochideologischen Spot als Kampagnenauftakt geschaffen, in dessen Welt wir uns unmittelbar wiederfinden. Der bittere Ernst des Lebens wird uns amüsant präsentiert – und mit Relevanz.

Doch kurz vor der Eröffnung der Olympiade wird auch ein „Ausweg“ aus dieser normierten Leistungsgesellschaft gezeigt: es wird unlimited. „Unlimited You“ ist ein Werbespot, der mit gewissen Regeln eines Spots bricht und der damit die vorherige Ideologie mit Genuss aufbricht, indem er sie übertreibt.

Aus Babies werden Jugendliche, denen eine Off-Stimme eine glorreiche Zukunft verspricht. Und sie werden gut: die junge Fussballerin zum Beispiel schiesst tatsächlich jedes Mal, wenn sie den Ball hat, ein Tor. Doch dann die Überraschung: der Spot ist nicht zu Ende, als er vermeintlich am Ende angekommen ist. Der Kunstturner durchbricht an den Ringen die Nike-Tagline „Just do it“, die in der Luft zerschellt. Die Off-Stimme des Konzerns ist verunsichert und verängstigt: „Hey, story’s over. What are you doing?“ Der Turnschuhhersteller gibt sich in den folgenden Szenen nicht mehr als Herr der Lage aus, wenn Amateur- und ProfisportlerInnen plötzlich halsbrecherische Stunts unternehmen, die weit über die Grenzen des jeweiligen Sports (und des „maximalen Potenzials“) hinausgehen – und ihren Sport zum gefährlichen Abenteuer machen. „Unlimited You“ bedeutet: setze dich auch über die sorgsam gepflegten Grenzen deines Lieblingskonzerns hinweg. Mach, was du willst und nicht was der Schuh will (aber der Schuh macht natürlich mit). „Everybody is going way too far“ ist Grenzenlosigkeit. Und bei keiner der selbstmörderischen Szenen hat Nike ein „Don’t try this at home“ eingeblendet.

Verlinken können wir uns nach diesem Wahnsinn mit realen Portraits der Nike-Superhelden, die vom Hunger und der Disziplin berichten, die sie ihr unlimited you entdecken lassen. Die Filme zu Simone Biles, Mo Farrah, Scout Bassett, Alex Morgan, Allyson Felix, Shelley-Anne Fraser-Pryce, Gabby Douglas, Serena Williams und Zehnkampf-Olympiasieger Ashton Eaton (dessen Portrait wunderbar vielseitige Trainings zeigt, deshalb sein Film als Beispiel) stehen also bereit, und können parallel zu den Spielen angesehen werden.

In der Folge verfeinert und verästelt Nike die Idee von „Unlimited“, erzählt verschiedenste Geschichten, liefert weitreichende Anknüpfungspunkte dafür, was unlimited bedeutet. Und natürlich gibt es an allen Filmen und Enden Anbindungen an Online-Sales und andere Stories. Die Zielgruppen werden ausgeweitet: Chris Mosier ist der erste Transgender-Sportler, der es ins US-Duathlon-Nationalteam der Männer geschafft hat (Mosier startete seine Athletenkarriere als Frau). Unlimited bedeutet auch: ich wähle mein Geschlecht. Seit Bruce Jenners Transformation in Caitlyn – Bruce war übrigens Olympiagoldgewinner im Zehnkampf in Montreal 1976 – sind Geschlechtsumwandlungen zwar im Mainstream angekommen, aber immer noch hart an der Grenze zur Grenzenlosigkeit.

Den krönenden (Beinahe-)Abschluss erreicht Nike mit einem Musikvideo. HipHopper Chance the Rapper (berühmt für seine Kollaborationen mit Justin Bieber, Skrillex und Kanye West) rappt über eine eigenständige, sehr souveräne, nachdenkliche Anlehnung an die US-Nationalhymne „Star spangled Banner“, zusammen mit dem US_Basketball-Team (ohne Frage das beste Basketteam der Welt) und man ist gewillt zu sagen, zusammen mit dem Geist der ganzen Nation. „Unlimited together“:

Doch halt! So wie die Olympiade mit dem Ende der Olympiade noch nicht beendet ist – weil die Paralympics folgen -, ist auch die Nike-Kampagne nicht ganz fertig. Die Paralympics passen perfekt, wenn es darum geht, für sich persönlich Grenzen festzulegen und Grenzen zu definieren – und bestehende Grenzen zu ignorieren. Der Titel „Unlimited Pursuit“ erinnert dabei nicht zufällig an den berühmtesten und wichtigsten Satz in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, wonach jedem Menschen der Schutz von „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“ zusteht.

© Michael Kathe

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