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Frank Bodin «Neues aus New York»

New York Festivals Jury-Kommentar von Frank Bodin.
Frank Bodin war erneut Mitglied der international zusammengesetzten Executive Jury der New York Festivals. Das Gremium besteht aus 21 Mitgliedern und tagte dieses Jahr vom 6. bis 10. April in New York. Die Shortlist wurde vorgängig von einer globalen Jury online ermittelt. Der fünftägige Kreativ-New-York-Marathon lohne sich für einen Juror, weil man im Gegensatz zu anderen weltweiten Awards einen Überblick über das Beste in allen Kategorien von Digital über Film bis Media gewinne. Nachfolgend ein Jury-Kommentar von Frank Bodin.

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Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels. Die umstrittene Präsidentenwahl in den USA, populistische Tendenzen in Europa, Brexit, Flüchtlingskrise, eine der grössten humanitären Katastrophen in Syrien, unzählige Krisen und Konflikte im Nahen Osten und viele ‚Bad News‘ mehr. Hinzu kommt die digitale Disruption, die bei vielen Menschen existenzielle Ängste verursacht. Das alles widerspiegelt sich derzeit auch in der Werbeindustrie und in den Arbeiten, die es bei den New York Festivals auf die Shortlist geschafft haben. 

Als ob ‚Public Services‘ nicht mehr eine einzelne, gesonderte Kategorie sei: Public-Services-Themen dominieren fast alle Kategorien – noch nie warben so viele Unternehmen für sich, indem sie ihr Bemühen, Gutes zu tun, ins Zentrum ihrer Kommunikation stellten. Oder indem sie mit Hilfe neuer Technologien nützliche Tools kreieren, um damit ebenfalls Gutes zu tun.

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Zum Beispiel Samsung mit einer hilfreichen Innovation für Blinde (Touchable Ink). Oder Land Cruiser mit eine Art Not-Mobile-Netzwerk für den Fall, dass man in der Wildnis weit abseits von Mobile-Empfang Hilfe benötigt (Land Cruiser Emergency Network). Oder wenn Ikea auf 25m2 Verkaufsfläche die Behausung einer Syrischen Familie nachbaut (25m2 of Syria) und einem damit nicht nur die unsägliche Not näher bringt, sondern auch etwas Geld sammelt. Oder wenn ein neuer menschlicher Körper erfunden und als Skulptur gebaut wird, der einen Autounfall überleben würde (Meet Graham). Das ist Werbung für Gutes, die ausgezeichnet ist. 

Damit nicht genug der Werbung im Dienste einer besseren Welt: Waffengewalt in den USA (Sign Their Yearbook), Rassismus gegen Schwarze (Change Perspective), Tools gegen Cyber-Mobbing in der Schule (Reword), Kampf gegen Zucker (Sugar Detox), Sportfelder für Kinder in Armenvierteln (The Unusual Football Field), Aufforderung zum jährlichen medizinischen Check-up (TV Doctors of America), eine App für vermisste Kinder (Missing Child Lock Screens) u.v.m.

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Dass dies auch zu viel des Guten werden kann, zeigen folgende Beispiele: Da kreiert ein Unternehmen eine Kinder-Mobile-Spiel-App, mit welcher die Knirpse während dem Autofahren ihre Eltern zu langsameren Fahren erziehen sollen; übertritt Papa die erlaubte Geschwindigkeit, unterbricht sich das mit Geotagging ausgestattet Spiel, was zu Protest auf dem Rücksitz führt. Ebenfalls bei den Kleinen hat ein anderes Unternehmen ein vermeintlich grosses Problem ausgemacht: Kinder trinken zu wenig; darum wurde eine digitale Getränkeflasche entwickelt, welche die Menge Flüssigkeit, die das Kind täglich zu sich nimmt, nicht nur überwacht, sondern die Daten aufs Mobile der Eltern schickt. Big Daddy is watching you. Diese Absurditäten werden von einem Unternehmen übertroffen, das den ‚Insight‘ zum Thema machte, dass Kinder am Esstisch nicht mehr mit den Eltern kommunizieren, weil sie ständig online sind; darum hat die Agentur eine Pfeffermühle mit integriertem Störsender entwickelt, damit ungestört gegessen werden kann. Offensichtlich kam niemand auf die Gold-Idee, dass ein elterliches Machtwort in solchen Fällen genügen würde. Das ist zu viel des Guten. Und zu viel der Dummheit (dass solche Arbeiten auf einer Shortlist landen (nicht nur in New York, auch in Cannes)), muss zu denken geben.

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Zum Glück gibt es aber auch noch Unterhaltendes, Berührendes, Charmantes, Bewegendes. Wie zum Beispiel die Weihnachtskampagne ‚Buster the Boxter‘ für John Lewis. Oder die lachenden Pferde für VW. Oder mein derzeitiger Lieblingsfilm ‚Gravity Cat‘ für Sony. 

Gut gemachte, unterhaltende Werbung ist angesichts der billigen Informationsflut nämlich auch eine gute Tat.

© Text und Bilder: Frank Bodin

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