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Michael Kathe: Seiler's Werbeblog

Michael Kathe «Michael rezensiert #15»

Zwischen Werbekonzepten, Familie und dem Zürcher Filmfestival: wussten Sie, dass Michael auch Rezensionen über Filme schreibt? Schon seit 1989 widmen sich die Autoren der Splatting Image jenen Nischen des internationalen Films der Vergangenheit und Gegenwart, die vom Grossteil der deutschsprachigen Filmpublizistik traditionell ignoriert oder allenfalls marginal berücksichtigt werden. Schauen Sie rein, ein Besuch lohnt sich. Genau wie auf dieser Seite, erwarten Sie tolle Rezensionen, so auch nachfolgend in Runde 15 «Michael rezensiert».

***John Lewis: Bohemian Rhapsody
„Bohemian Rhapsody“ ist nicht einfach ein Klassiker der Rockmusik. Es ist wohl der einzige Megahit, der einen ohne Refrain in 6 Minuten durch 6 völlig unterschiedliche musikalische Welten jagt, um eine (mehrdeutige) Geschichte zu erzählen. Dieses irre Storytelling wird im neuen John Lewis-Spot an einem Elternabend von Schülern aufgeführt und ist bei weitem lebhafter und inspirierter als Beethovens Neunte. Denn hier inszenieren die Kids ihre eigenen Welten und Wünsche und selbst die Eltern spüren und schätzen das. Die Space-Rockoper („Mama, just killed a martian“) ist eine durchgeknallte Mélange aus Queen-Zitaten und Flash-Gordon-mässigen Billigkulissen und mehr als nur eine Kindergaudi: es ist auch eine kindliche Auseindersetzung mit einer Zukunft, in der Roboter nicht mehr wegzutöten sind.


**Nike: Caster Semanya
Mit Leidenschaft sein Ding durchziehen. Was neuerdings für das Kaufhaus John Lewis eine valable Positionierung ist, gilt für den Sportartikelproduzenten Nike schon lange. Und seit dem Kaepernick-Stunt vor drei Wochen noch mehr.

Was sich bereits im Kapernick-Spot abzeichnete: Das war für Nike nicht einfach nur eine Provokation und ein Stellungsbezug dafür, dass Meinungsfreiheit auch für schwarze Sportler gilt (und nicht wie in Trumps Welt nur für weisse Rassisten), sondern auch eine weiter gedachte, „lose“ Kampagne mit vielen Facetten. Dabei bezieht Nike Position für diejenigen Sportler, die umstritten sind und an Grenzen rütteln. Zum Beispiel Caster Semenya. Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin wurde immer wieder wegen ihres männlichen Aussehens, ihrer tiefen Stimme und ihrer herausragenden Leistungen verdächtigt, hermaphrodit zu sein. Sie siegte allerdings immer innerhalb der jeweils neu aufgesetzten Regeln des internationalen Leichtathletik-Verbandes. Angriffe auf sie bleiben. Deshalb fragt sie im Spot „Would it be easier for you if I wasn’t so fast?“ Die rückwärtslaufende Kamera, die uns zur Jugendzeit von Caster führt, beschert uns den Weg in die Kindheit – und die rotzige Antwort: „That’s too bad, because I was born to do it.“


*Pathé Gaumont: CinéPass 2018-09-28
Ein schöner, langer emotionaler Film von BETC Paris, einer Agentur, die grosse, schöne Werbung machen kann, wie z.B. die Evian Babies. Für die altehrwürdige Kinokette Gaumont Pathé, die aus zwei Filmproduktionen aus dem vorletzten Jahrhundert zusammengeführt wurde, einen Spot unter dem Motto „Les grandes histoires se vivent sur grand écran“ zu inszenieren, ist nicht nur eine edle Aufgabe, sondern sollte jeden Filmafficionado zu Höchstleistungen animieren. Auch in einer Werbeagentur. Die vorliegende Liebesgeschichte im Kino kann sich leider nicht sehen lassen: weder originelle Wendungen, noch erkennbare Filmzitate (es gibt bigoscht genug Filme, die in Kinos spielen) und selbst die Off-Stimmen von der Leinwand sind nicht wirklich treffend oder kontrastierend (am besten noch die „You fucked my wife“-Szene mit De Niro aus „Raging Bull“). So unfranzösisch, so un-BETC.

*Ikea: Lamp 2
Sequels von Werbespots sind üblicherweise zweite und dritte Wellen einer Kampagne und folgen mit Halbjahres- bis Jahresabstand. Zu späterem Zeitpunkt wird sich kaum jemand an die vorangegangenen Spots erinnern. Eine Ausnahme bilden die Spots mit nationalem oder weltweit derart durchschlagenden Erfolg, dass sie Teil der Popkultur werden. Der Evian-Spot „Babies“ war so einer. Ob der noch ältere Ikeaspot „Lamb“ (2002) von Spike Jonze auch so ein Popklassiker ist, darf trotz Cannes Grand Prix bezweifelt werden.

Trotzdem hat sich eine furchtlose kanadische Werbetruppe daran gemacht, den Spot neu zu schreiben. Weil junge Girls auf Retroschick stehen, nimmt das Mädchen die Lampe mit und schliesst sie auf eine Weise ins Herz, die über die Freude an der Funktionalität hinausgeht. Als der alte Mann, der im Urspot noch die ganze filmische Szenerie crashte und hier nur als langweiliger Kommentator agiert, in die Kamera spricht, tut sich selbst im Kommentar noch eine Diskrepanz zwischen seiner Botschaft und der Leidenschaft des Mädchens auf. Was für sie Leidenschaft und Schönheit ist, ist für ihn lediglich Recycling:


***Ikea: Lamp (2002)
Das Plädoyer für neue Lampen mag im Vergleich zum kanadischen Spot etwas unmoralisch wirken, doch das Original aus dem Jahr 2002 ist trotzdem um Längen besser. Es lohnt sich, diesen mehrfach disruptiven Spot wieder einmal zu sehen:

©Text: Michael Kathe

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