Seiler's Werbeblog

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Michael Kathe: Seiler's Werbeblog

Michael Kathe «Michael rezensiert #10»

In Runde 10 erklärt uns Michael warum sich Michel Gondry lieber auf das Produzieren von Musikclips konzentrieren soll und warum ein ausgelutschtes Lied wie „I will survive“ trotzdem oder gerade darum auch in der Werbung seine Daseinsberechtigung hat. Wir sind in der 10-ten Runde, Klitschko würde viel dafür tun, genau in dieser nochmals zu stehen. Ring frei!

**Goya: Prodigal son.
Food ist immer noch das Megathema in unserer Gesellschaft. Vegan Essen, gesundes Essen, Sternekocherei, Fast Food, die Science of Food, Street Food Festivals … you name it. Essen hat längst Politik, Musik oder Kunst im modernen Tischgespräch abgelöst. Und trotzdem gehen gewisse Themen immer wieder unter oder finden den Weg in den Diskurs nur selten, weil sie eben nicht so einfach rational vermittelbar oder zu individuell sind. Da grätscht dann die Werbung rein.

So können die Gefühle, die entstehen, wenn man einen lange vergangenen Geschmack wieder auf den Lippen hat, sogar kulturelle Entfremdung überwinden (helfen). Wenn lateinamerikanische Secondo-Kinder die US-Chiperfindung „Nachos“ als Essen aus der Heimat verstehen, zucken deren Eltern zusammen. Ebenso z.B. bei „Sweet Sixteen“ statt „Quinceanera“.

Aber das lateinamerikanische Essen, wie es Goya produziert und verkauft, schafft die stärkste Verbindung von Secondos zu ihren Wurzeln. Der „Win them back“-Effekt eben, mit dem Essen seine ganze emotionale Kraft entfalten kann.

***New York Times: The truth is hard to find.
Wir leben immer mehr in Zeiten von Fake News. Wem sollen wir da vertrauen? Vielleicht demjenigen, der zugibt, dass die Wahrheit schwierig herauszufinden und oftmals brutal ist. Diesen Doppelschritt vollzieht die New York Times mit ihrem Kampagnenclaim. „The truth is hard“ wird ergänzt durch „to find“. Dazu hat Regisseur Darren Aronofsky (Requiem for a dream, The Wrestler, Black Swan) Fotos von NYT-Fotojournalisten und ihren Begegnungen mit der Wahrheit auf dramatische Weise montiert: die Flüchtlinge auf Lesbos 2015, der Ebola-Ausbruch in Liberia und irakische Antiterroreinheiten 2016. Wichtig in Aronofskys Montage der Bilder sind auch immer die Schwarzräume dazwischen, denn das Bild der Wahrheit kann nur zusammengesetzt werden aus mehreren.



**Quit Smoking Ireland: I will survive.
Ja, „I will survive“ ist zusammen mit „Born to be wild“ das ausgelutschteste Lied, das man für einen Werbespot oder einen Fernsehbeitrag verwenden kann. Und trotzdem: in Kombination mit dem Rauchstop erhält der Song eine geradezu humorvolle, ironische Note und vermittelt gerade deshalb umso deutlicher die Botschaft. Rauchen macht(e) Spass und das Verhältnis der Rauchers zu seinen Zigaretten ist eine grosse, gescheiterte Liebesbeziehung, die man nur mit einem wirklich kraftvollen Bekenntnis zu sich selber überwinden kann. Womit wir wieder bei „I will survive“ wären, und dem Grund, weshalb der Song so oft benutzt wird. Weil er so kraftvoll ist.

*FedEx: Dream.
Wenn Michel Gondry einen Werbespot realisiert, sollte das aufhorchen lassen. Gondry ist niemand weniger als der wohl kreativste und interessanteste Musikvideo-Regisseur in der Geschichte des Mediums (White Stripes, Chemical Brothers und nicht zuletzt Kylie Minogues „Come into my world“-Clip) und dazu ein manchmal brillanter, durchgeknallter Filmemacher („Eternal Sunshine of the spotless mind“, „Be kind, rewind“).

Nun hat Gondry für FedEx einen Werbespot umgesetzt. Das Magische an der nicht unbedingt raffinierten oder verschachtelten Story mag ihn fasziniert haben, so wie er sich seit seinem Film „Der Schaum der Tage“ für Kindliches und Spielerisches interessiert. Denn der FedEx-Spot hat eine durchaus verblüffende Grundidee, weil er das Reisen der Waren (Pakete) als politische Tat versteht, vielleicht auch ein wenig als Traum: „What we do is like something out of a strange dream.“ Der seltsame Traum nämlich, dass all die Spielsachen, Küchengeräte und was wir sonst noch so bestellen, viel problemloser reisen können als wir. Die Objekte bewegen sich selbständig an ihre Destinationen, overseas, fliegend, die Rolltreppe herunter, mit Pass beim Zoll durch. Aus diesem Blickwinkel entdecken wir das Faszinierende an Paketpost wieder. Wäre da nicht die Umsetzung, die weder dieses Leichte, noch das Magische wirklich transportieren kann. Gondry zum Trotz – was eigentlich schade ist.

**Heineken: Worlds apart.
Weil Donald Trump nicht fähig ist, die Willensnation USA zu vereinen (was auch überhaupt nicht seine Absicht ist), versuchen es nun ein paar grosse Brands. Schliesslich vermittelt Werbung auch immer eine gesellschaftliche Botschaft und damit ein Problem: wenn diese Botschaft zu progressiv ist, wird sie den Konservativen nicht gefallen und vice versa. Das mag der Grund sein, weshalb Pepsi in einem Spot alle Jugendgruppierungen auf einmal unterbringen wollte (und kläglich scheiterte: seilers-werbeblog.ch/pepsi-und-der-shitstorm), das ist vielleicht auch der Grund, weshalb Heineken nun einiges raffinierter radikale gesellschaftliche Positionen in einem Spot vereint.

Heineken hatte bereits mit ihrer „Drink responsibly“-Kampagne ein gutes Händchen für Zwischentöne, nun schaffen sie die Quadratur des Kreises auch auf politischer Ebene. Heineken inszeniert ein soziales Experiment. Sechs Menschen mit verschiedenen Meinungen, 100% Feministin vs. Antifeministen, Klimawandel-Verweigerer vs. Aktivist, Transgender-Hasser vs. Transsexuelle. Sie alle wissen nichts voneinander, sondern bauen erst einmal etwas zusammen – um dann, nach dem Austausch ihrer Meinungen vor die Wahl gestellt zu werden: alles bei einem Bierchen besprechen oder das Experiment abbrechen. Was das Experiment zeigt, ist tatsächlich eine tiefe menschliche Komponente: wer zusammen spricht, kommt sich näher. Akzeptiert die Meinung des anderen eher. Zum Beispiel so, wie sich damals in der Schweiz SP-Chefin Christine Brunner und SVP-Chef Ueli Maurer bei einem Glas Weisswein bestens verstanden. Nur ist das Problem heute ein anderes: Menschen mit verschiedenen Meinungen leben heute zu abgeschottet voneinander und kommen überhaupt nie dazu, sich zu einem Bierchen zusammen zu finden. Das ist übrigens nicht einfach nur ein Facebook-Problem.

©Michael Kathe

 

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