Seiler's Werbeblog

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Frank Bodin

Frank Bodin «Vom Neubeginn zum Ideenerhaltungssatz»

Die vergangenen Monate müssen für Frank Bodin unglaublich spannend gewesen sein. Die letzten Tage bei der Agentur, die er über Jahre geprägt hat, die Gründung seiner eigenen Firma, viele spannende Mandate, der ADC und auch Zeit für sich selber. Erfahren Sie im nachfolgenden Interview mehr zu den Projekten, seiner neuen Firma und zum Art Directors Club, welchen er als Präsident in die Zukunft führt und welcher für die nächste Mitgliederversammlung mit frischen Ideen überraschen wird.

Yves Seiler: Die letzten Monate müssen unglaublich spannend für dich gewesen sein. Wie gefällt dir dein neues Leben?
Frank Bodin: Spannend und entspannend. Während meiner Auszeit merkte ich erst, wie notwendig ich diese hatte. Ich habe die Zeit genossen und genutzt. Zum Lesen, zum Nachdenken, für meine Kinder, für Freunde, zum Musizieren und natürlich auch um meine neuen beruflichen Tätigkeiten aufzugleisen. Und nun merke ich, wie gut mir Veränderung tut, auch wenn’s wieder ziemlich anstrengend ist.

Gibt es Tage, an welchen du dir vorwirfst, warum du diesen Schritt nicht schon eher gewagt hast?
Die Haltbarkeitsdauer eines CEO liegt bei etwa sechs Jahren. In meiner Funktion als CEO von Euro RSCG bzw. Havas war ich zweimal kurz vor dem Absprung. Kontinuität ist auch ein Wagnis – der Entscheid jeweils doch zu bleiben und ein Unternehmen nachhaltig fast zwei Jahrzehnte zu führen, war bewusst und bereue ich überhaupt nicht. Das Problem bei Entscheiden ist weniger ob sie richtig oder falsch sind – das grössere Problem ist, wenn man nicht entscheidet. Martin Luther soll gesagt haben „Nur, wer entscheidet, existiert.“

Hattest du noch andere Optionen, die du dir überlegt hast? Oder war es für dich klar, dass nach Havas nur die Selbständigkeit in Frage kommt? Ich selber hätte dich nur schwer als CEO in einer anderen Agentur vorstellen können.
Für mich war nur eines klar: Ich gebe meinen Job nicht auf, um dasselbe bei einer anderen Schweizer Werbeagentur zu machen. Ich hatte und habe nach wie vor interessante Gespräche mit unterschiedlichsten Unternehmen und behalte mir nach wie vor Optionen offen. Selbstständigkeit ist übrigens nicht gleichbedeutend mit Freiheit – es bleiben zahlreiche Abhängigkeiten wie Kunden, gute Mitarbeitende usw. Das schöne an meiner Selbstständigkeit ist, dass völlig Neues auf mich zukommt.

Du bist es gewohnt grosse Teams zu orchestrieren. Jetzt bist du eine One-Man-Show und bist auf dich alleine gestellt. Wie gefällt dir diese Rolle? Und hast du einen festen Stamm an Freelancern?
Die „Loneliness at the Top“ ist hinlänglich bekannt. Ich gestehe, dass ich mich trotz vielen Leuten um mich herum auch manchmal einsam fühlte. Das ist heute anders: Je nach Aufgabenstellung stelle ich mein Orchester selbst zusammen, mit Musikern, mit denen es „geigt“. Die Beziehung zwischen meinen Kunden und den Leuten, mit denen ich zusammenarbeiten darf, hat dadurch eine ganz neue Qualität.

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Deine Firma heisst bodin.consulting, du arbeitest mit dem Zusatz «Corporate Advisory für Strategie, Branding, Kommunikation, Werbung und digitale Transformation». In anderen Worten heisst das?
Es gibt keine Probleme, es gibt nur Kommunikationsprobleme. Schaut doch die Realität an: Da sitzen viele gut ausgebildete Menschen in langen Meetings, und am Ende kommt Kommunikation raus, wo man sich leider zu oft fragen muss, wie so etwas Langweiliges, Irrelevantes entstehen konnte. Branding, digitale Markenführung und strategische Aufgabenstellungen haben mich in den letzten Jahren mehr und mehr fasziniert. Marketingverantwortliche und Unternehmensverantwortliche kamen immer mal wieder auf mich zu, weil sie an persönlichen Einschätzungen interessiert waren oder spezifische Problemstellungen hatten, für die eine Agentur zu gross gewesen wäre und ein Beratungsunternehmen zu teuer. Dazu gehören Fragestellungen bei Restrukturierungen, der internen Kultur, unklaren Positionierungen, zu wenig Innovation, ungenügende Dynamik im Markt oder einfach weil eine Second Opinion gewünscht ist und, und, und. Aus diesem Kundenbedürfnis entstand die Idee, statt einer Agentur ein Agent zu sein, ein Sparringpartner für Marken- und Marketing-Verantwortliche, Unternehmer usw., der die Grundlage für gute, nachhaltige Kommunikation schafft. Für die Umsetzung kann ich auf einen Pool an unterschiedlichsten Freelancern und auch Agenturen zurückgreifen. Und ja, darüber hinaus mache ich auch weiterhin Werbung, aber nur wenige, ausgesuchte Mandate.

Was für Ziele verfolgst du mit deiner Firma? Ist eines davon Wachstum? Strebst du internationale Geschäfte an?
„.Imagine another viewpoint“ ist der Claim von bodin.consulting. Analytik mit Neuem zu verbinden, mochte ich seit jeher. Ich versuche möglichst nur die Dinge tun, in denen ich nicht ganz so schlecht bin und für die ich Leidenschaft empfinde. Dazu gehört, dass ich über unsere Landesgrenze hinaus auch internationale Mandate betreue. Und natürlich möchte ich mir eine neue nachhaltige Basis schaffen, die meine Familie die nächsten Jahre ernährt und mich erfüllt.

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Was genau machst du für Twitter? Was beinhaltet deine Rolle als Ambassador?
Ich unterstütze die Teams von Httpool Wien und Twitter Dublin, vor allem strategisch – ich bin ein wenig näher am Schweizer Markt und an den Bedürfnissen der hiesigen Unternehmen. Dabei kann ich Türen öffnen, die Teams bei der Vermarktung unterstützen und die Partnerschaften zwischen Twitter und insbesondere den global agierenden Schweizer Unternehmen stärken. Darüber hinaus helfe ich, Twitter in der Schweizer Öffentlichkeit noch besser zu verankern. Dazu gehören Events, Referate, Schulungen und zahlreiche weitere Massnahmen. Twitter unterscheidet sich ja doch sehr von Facebook, Instagram und Co.: Twitterer schauen nicht nur Bildli an, sondern können lesen – sie sind an Inhalten interessiert, an Aktualität, an Trends, an Diskurs. Das qualitative Umfeld von Twitter ist für die User wie für die Unternehmen von grösstem Interesse. Das wissen bereits zahlreiche Leute, aber noch nicht alle.

Bist du musikalisch noch aktiv? Spielst du zu Hause viel auf dem Flügel?
Ich spiele zwar immer schlechter, aber immer noch mit der gleichen Leidenschaft. Und ab und zu gelingt dann auch Passables. Das sind dann diese selten aussergewöhnlichen Momente, wenn man völlig in der Musik aufgeht. Zur Zeit entdecke ich Beethoven wieder neu und mühe mich mit Chopin ab, zum Leidwesen unseres Hundes.

Deine Tochter Manon (hier zu lesen) ist Singer/Songwriterin. In deiner Karriere hast du viele Kreativ-Jungtalente auf deren Weg begleitet. Was sind die Voraussetzungen in der heutigen Zeit, dass es die Jungen schaffen?
Meine Kinder sind die mit Abstand beste Kreation, an der ich beteiligt war. Manon ist gerade dabei, ihr zweites Album zu veröffentlichen, ihre Zwillingsschwester spielt Klavier wie mein sechszehnjähriger Sohn, der die Mondschein-Sonate nächstens an einem Wettbewerb spielen wird, und meine jüngste Tochter Ayleen hat mir zum Geburtstag „Perfect“ von Ed Sheeran eingesungen und sich dabei selbst am Klavier begleitet. Ja, ich bin stolz auf alle meine Kinder. Das Wichtigste dabei ist die Freude, mit der sie die Dinge tun. Musik lehrt einen vieles, das man im Leben anwenden kann. Drei Voraussetzungen sind gestern wie heute die gleichen: Erstens, Talent bzw. seine Stärken zu kennen und zu nutzen. Zweitens Passion – Leidenschaft ist nun mal die Voraussetzung, um sich jeden Tag zu überwinden, für seine Ziele an sich zu arbeiten. Passion beinhaltet nebst der Leidensbereitschaft aber eben auch die Freude. Die Freude darf in einer von Ratings und Messbarkeitswahn dominierten Gesellschaft nicht vergessen werden. Und drittens braucht’s das richtige Umfeld, das einen fördert und fordert. Auf die ersten beiden Punkte hat man als Papa wie auch als Agenturverantwortlicher nur wenig Einfluss. Aber beim dritten Punkt kann man einwirken und trägt dafür eine Verantwortung.

Planst du die Veröffentlichung eines weiteren Buches? Was für eine Thematik könnte dich interessieren?
Als „Jungunternehmer“ muss ich mich derzeit schon glücklich schätzen, wenn ich Zeit zum Lesen eines Buches finde.

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Kürzlich warst du mit dem Maler Beltracchi dinieren. Er machte sich einen Namen, indem er grosse Künstler kopierte, was ihn am Ende sogar ins Gefängnis brachte. Wie dienlich war ihm die ganze Geschichte, damit er sich nun als eigenständiger Künstler positionieren kann?
Wolfgang Beltracchi ist ein handwerklich genialer Maler und ein profunder Kunstkenner, wie es wahrscheinlich nur wenige gibt. Er hat ja nicht einfach Bilder gefälscht, sondern Bilder im Stil unterschiedlichster Meister kreiert, die jeweils eine Lücke in deren Schaffen füllten. Diese „Entdeckungen“ waren so gut gemacht, dass sie allen Expertisen und forensischen Prüfungen standhielten. Angesichts der Eitelkeiten und der spekulativen Perversion im Kunstbetrieb, ist eine gewisse Sympathie mit dem hochbegabten Gauner nachvollziehbar. Was ich noch interessanter als die gefälschten Bilder finde: Die dadurch angeregte Reflektion des gegenwärtigen Kunstbetriebs und die Diskussion über die Beurteilung und die Bewertung von Kunst. Selbst die besten Fälschungen zeigen, dass das wirklich Geniale an ausserordentlicher Kunst die Ideen des Künstlers und dessen Eigenheiten bei der Umsetzung sind. Ob Wolfgang Beltracchi das auch kann, wird sich erst noch zeigen. Eine Idee wäre ja, wenn Wolfgang Beltracchi beginnen würde, Wolfgang Beltracchi zu kopieren.

An einem Vortrag meinte eine Branchenpersönlichkeit, dass der klassische Über-Werber aus der Vergangenheit ausgedient habe. Du selber warst Werber des Jahres und gehörst auch zur Sorte Über-Werber. Was denkst du über diese Aussage?
Du sprichst den „Star-Werber“ an? In der Schweiz fällt mir Michael Conrad ein. Ich finde überhaupt nicht, dass interessante Persönlichkeiten ausgedient haben. Zum Glück hat unsere Branche noch davon. Neue Zusammenarbeitsformen stehen doch nicht im Widerspruch zu Leadership, zu Charakteren mit Ecken und Kanten wie ein ADC-Würfel? Ich wünschte mir lieber zehn neue Schweizer Mad Men und Women des 21. Jahrhunderts statt keinen mehr – wie diese in den Medien bezeichnet werden, hat man wenig Einfluss. Aber etwas gute Werbung schadet der Werbebranche nicht.

Auch ich  finde solche Persönlichkeiten immens wichtig. Sie geben der Branche ein Gesicht. Läuft die Branche sonst Gefahr, dass sie an Glamour verliert?
Viele Kreative bekunden Mühe mit Testimonial-Werbung, weil diese Form meist wenig kreativen Spielraum zulässt. Aber Menschen sind nun mal vor allem an Menschen interessiert. Es kommt nicht von ungefähr, dass zahlreiche Führungspersönlichkeiten ihren Unternehmen oder einer ganzen Branche ein Gesicht geben. Werbeinhalte dürfen das Publikum nicht langweilen und Positionierung ist nach wie vor eine unserer Kernaufgaben. Also sollten wir keine Langweiler zu den Kunden schicken. Es muss ja nicht Glamour sein – Glamour ist eine Stilfrage, die auch abhängig von ihrer Zeit ist, aber ich bin unbedingt für Freude und Haltung. Wer die Freude jeweils bei der ADC Gala miterlebt, weiss, dass Werbung vielleicht etwas komplizierter geworden ist, aber keineswegs weniger faszinierend.

Du selber bist in unzähligen Stiftungen, Foren usw. als Ambassador, Dozent und auch Präsident aktiv. Ist es richtig, dass dir von all diesen Aufgaben der ADC am meisten am Herzen liegt? Warum ist das so?
Ich darf in aller Bescheidenheit für mich beanspruchen, dass ich in den Stiftungen wie MyHandicap, dem Tibet Institut Rikon oder neu bei der Camerata Schweiz, einem wunderbaren Orchester unter der Leitung von Howard Griffiths, mit Herzblut dabei bin und Spuren hinterlasse. Das war auch so bei leading swiss agencies. Ich erinnere an den Widerstand in unseren Agenturreihen, als wir aus dem Bund Schweizer Werbeagenturen den lsa machten oder als ich das Ranking wieder einführte wie auch eine regelmässige Qualitätsüberprüfung der Mitgliedagenturen für mehr Transparenz und Investitionssicherheit der Auftraggeber. Und als ich vorschlug, die 25-Prozent-Auszeichnungsquote des ADC durch qualitative Jurierungskriterien zu ersetzen, wurde ich für diese Idee erst mal ziemlich abgestraft. Der ADC Switzerland ist und bleibt eine besondere Aufgabe, weil sie die Branche betrifft, mit der wir unser glutenfreies Brot verdienen. In einer Zeit der digitalen Disruptionsverunsicherung ist die Qualität der Ideen und der Inhalte wichtiger denn je – den Blick darauf zu lenken, übrigens nicht nur mit der jährlichen Schweizermeisterschaft der kreativen Kommunikation, sondern auch mit Ausbildung, Talentförderung, Ausstellungen, Podien, interdisziplinären Veranstaltungen, verstehe ich als Auftrag, der unseren Kunden einen grossen Mehrwert bringt.

ADC Schweiz

 

Was habt ihr für Pläne mit dem ADC? Gibt es Neuerungen? Wie geht es mit dem ADC weiter? Wie wird sich der Club aufstellen, damit er auch in 10 Jahren noch relevant bleibt?
Bei meinem Amtsantritt 2013 habe ich eine langfristige Strategie ausgearbeitet. Einiges haben wir erreicht, einiges noch nicht. Der ADC Vorstand wird an der nächsten Mitgliederversammlung einmal mehr mit frischen Ideen überraschen.

Für wie relevant betrachtest du die Würfel und andere Kreativ-Auszeichnungen in der heutigen Zeit?
Über Awards muss man vor allem dann reden, wenn man keine gewinnt. Zum Glück sind die Zeiten der „Wettbewerbitis“ und der Selbstblendung fast vorbei. Was bleibt, sind einige wenige, relevante Awards. Einen Würfel beim ADC Switzerland zu gewinnen ist schwierig, zumindest schwieriger als bei jedem anderen Wettbewerb in der Schweiz. Die vom ADC ausgezeichneten Arbeiten sind Benchmarks für Kunden, für Agenturen und für den kreativen Nachwuchs. Um nur drei Beispiele der diesjährigen Goldgewinner herauszugreifen: Kampagnen wie „50 Years of Big Mac“ von McDonald’s Schweiz oder „Kunde seit 100 Jahren“ für Swiss Life oder „Alle sind gleich, niemand ist gleicher“ für Pro Infirmis zeigen aufs Eindrücklichste, wie Kreativität zu mehr Effizienz und Effektivität verhilft. Und zu glücklichen Konsumentinnen und Konsumenten und glücklichen Auftraggebern. Auch im digitalen Zeitalter haben Naturgesetze wie der Energieerhaltungssatz ihre Gültigkeit und Marketinggesetze wie der „Ideenerhaltungssatz“ – der lautet übrigens „Big Data“ ohne „Big Idea“ gleich Null.

©Interview: Yves Seiler

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