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Levis

Michael Kathe «Werbegeschichte: Levis 501. Zweiter Teil.»

Musikalisch durch die Neunziger mit Levis.
Irgendwann Ende der Achtziger Jahre war das Fifties-Revival endgültig vorüber. Die Levis Werbung hatte Songs von Marvin Gaye bis Ben E. King neu lanciert und damit sogar die Charts erobert. Und vor allem eine unerwartete Zusatzmenge Jeans verkauft. Doch Bartle Bogle Hegarty führte das Konzept erfolgreich weiter.

Die Fifites mochten ausgedient haben wie eine alte 501, doch die Retro-Welle konnte noch weiter ausgereizt werden. BBH versuchte sich in Musikstilen, der noch kein Revival erlebt hatten – und nicht so eine sicherer Winner waren wie die Fifites, die in den Achtzigern ohnehin hohe Popularität genossen (Teddys).

Es war durchaus mutig, dass Levis 1990 mit ganz anderen Poptunes auffuhr, angefangen mit dem in Europa eher unbekannten US-Klassiker der Steve Miller Band aus dem Jahr 1973, „The Joker“. Doch auch unter den neuen Vorzeichen kletterte der Song erfolgreich die Charts vieler europäischer Länder hoch (u.a. CH Platz 5; UK Platz 1). Die Story des Spots liess allerdings die Geschlechterbilder wieder in konservativere Gefilde rücken: Die Frau ist zwar berufstätig, wünscht sich aber den Mann, der sie als heilbringende Überfigur daraus befreit.


Die Experimentierfreude der Agentur Bartle Bogle Hegarty schien im folgenden keine Grenzen zu kennen. „Should I stay or should I go“ von den Clash war gerade mal 9 Jahre alt, und somit noch nicht revivalwürdig. Ausserdem schaffte der Song bei seiner Erstveröffentlichung 1982 kaum irgendwo die Top 20. Doch zusammen mit dem Levis-Spot 1991 krönte der Song nicht nur die Spitze der britischen Charts, sondern gelangte auch in vielen Ländern Europas und der Welt unter die Top 5. Inzwischen gilt „Should I stay or should I go“ als Klassiker der Popmusik, während die Story des Spots entscheidungslos zwischen Witz, männlichem Sexsymbol und klassischen Rollengebaren herumdümpelte:

Ganz anders der folgende Spot. „20th century boy“ hatte es in sich, und lancierte genau das: DEN 20th century boy für Frauen!

Aber der Reihe nach: BBH lancierten den Glam Rock von T-Rex, der vergessen und verstaubt irgendwo in einer Ecke lag und höchstens auf der britischen Insel eine Gefolgschaft hatte. Doch der „Prison“-Spot schlug ein wie eine Bombe – und gilt inzwischen als weiterer historischer Werbemoment der Kampagne. Allerdings weniger wegen der Musik – erstmals kein richtiger Charterfolg – und genauso wenig wegen der Story, in der ein junger Mann aus dem Gefängnis kommt, von seiner heissen Freundin abgeholt wird und den Fotoapparat mit den ersten wilden Kussbildern dem neidischen Gefängniswärter zuwirft – dieses erbärmliche, machomässige „Schau her, ich habe eine Trophy Wife“.

Nein, der Spot zieht seinen Kultstatus aus der männlichen Hauptperson, die schon damals mit ihrem unverschämten Aussehen, dem verschmitzten Lächeln und der Sexyness hervorstach: Brad Pitt.


Einige Wochen danach erschien Ridley Scotts Film „Thelma and Louise“, in dem eben jener Brad Pitt als One Night Stand von Louise (Geena Davis) gecastet war und die Begeisterung für den Jungschauspieler weiter anheizte. Der Rest ist Geschichte, wie man so sagt.

T-Rex’ Top-Hit von 1973 erreichte 1991 „lediglich“ Platz 13 in den britischen Charts. Grund genug also für die mutige Werbeagentur, die Musikstrategie zu wechseln.

Ein neues Konzept.
Auch bei ausbleibenden Charterfolgen blieben Levis Spots allerdings ungebrochen populär. Dinah Washingtons „Mad about the boy“ aus dem Jahr 1952 lieferte eine wunderbare Untermalung zum hypnotischen „Swimmer“-Spot. Der von Tarsem Singh gedrehte Film in delirierenden Farben brachte eine neue Qualität in die Levis-Spots: die Musik hatte nun dem Film zu dienen – und der Film musste nicht mehr eine klassische Boy-Girl-Story erzählen. Tarsem Singh war der erste grosse Regisseur in einer Reihe illustrer Regie-Namen (Michael Gondry, Johnathan Glazer) und „Swimmer“ setzte den neuen Standard im Storytelling: visuell eine „dreamlike quality“ in einem surrealen Plot zu schaffen. Statt die Jeans oft zu waschen, marschiert ein junger Mann durch die Gärten der Schönen und Reichen und benutzt deren Swimming-pool. Unter dem lustvollen Blick so manch einer Frau (hier ist er wieder, der begehrende Blick der Frau, der für Levis-Spots so konstituierend war):


Längst waren die Levis-Spots zu einem popkulturellen Phänomen avanciert und selbstbewusst wurden von nun an aktuelle Songs unbekannter Bands zur Unter- oder Übermalung der Spots verwendet. Der Song „Inside“ der unbekannte Band Stiltskin wurde im Levis-Ad „Creek“ auf der Höhe der Grungewelle lanciert. 1994 tourten Nirvana durch volle Hallen in Europa und den USA, bevor sich Kurt Cobain im April erschoss. Stiltskin schafften die Nummer 1 in England. Vorwärtstreibend wie Stiltskins Grungegitarren war die in schwarzweiss gedrehte Story. Puritanische Pioniere des 18. Jahrhunderts ziehen in den Westen des Kontinents, die weniger prüden Töchter werden von einem Mann im Wasser und den Gitarren elektrifiziert.

Auch hier bleibt der Blick der Frau auf den Mann das zentrale Motiv, wie auch im nächsten Spot Blicke bewundernder Frauen eine Rolle spielen, wenngleich eine eher nebensächliche. Die Story zu „Drugstore“ (1995) wurde von Musikvideo-Mastermind Michel Gondry aus der klaustrophobischen Sicht eines jungen Mannes erzählt, der Kondome kauft und abends im Vater seines Dates den skeptischen Kondomverkäufer wieder erkennt. Die Story aus der Zeit nach der grossen Depression in den USA wird mit moderner elektronischer Musik von Biosphere in eine beklemmende Atmosphäre gerückt. Gondrys Levis-Spot bewirbt zwar das kleine „Uhrentäschchen“ der Jeans, doch von Werbung als Feelgood-Erlebnis kann hier nicht mehr gesprochen werden. Die Emanzipation einer Teenagerin von der Vaterfigur wird in jener emotionalen Beklemmung vermittelt, die auch tatsächlich die Lebenserfahrung vieler Teenager und Väter prägen. Mit solch emotionaler Intensität und Authentizität hatte kaum je ein Spot vor- oder nachher für ein Produkt geworben. In den USA wurde dieser Spot allerdings nie ausgestrahlt.

Mit „Drugstore“ nahm Gondry die Mischung aus Beklemmung und neuer elektronischer Musik vorweg, die später die Musikvideos von Chris Cunningham auszeichneten. Biospheres Song schaffte es nicht in die Charts, doch das dürfte auch nicht das Ziel dieses Spots gewesen sein.

Dafür landete Ende 1995 ein weiterer neuer Song in 23 Ländern an der Spitze der Charts, zu verdanken wohl dem infantil anmutende Beginn des Popsongs „Spaceman“ des One-man-Projects „Babylon Zoo“. Die Dreamlike Quality wird in diesem Levis-Spot durch die künstlich erzeugten Welten rekonstruiert, das farblich irrwitzige Zukunfts-Suburbia und ein paar weirde Kameraeinstellungen. Hängen bleibt er allerdings nicht.


1997 folgte ein brasilianischer Dubtrack, der bereits drei Jahre zuvor erfolglos als Single veröffentlicht wurde. Erst dank dem Levis-Spot erlangte Smoke City’s „Underwater Love“ Bekanntheit und Platzierungen in den internationalen Charts (beste Platzierung in UK 14; in CH 33). Ein sinkendes Schiff und drei Meerjungfrauen, die dem untergehenden Mann lediglich die Jeans abnehmen möchten: die banale Story gewann durch den atemberaubenden, verfremdeten Bildstil und die traumhaft anmutende Musik – ein weiteres schönes Beispiel für die surreale dreamlike quality:

Nach sieben Jahren war es wiederum Zeit für die Agentur BBH, die erfolgreichste, auf Musik basierende Werbekampagne der Welt etwas zu verändern. Und das mit einem Paukenschlag.

 

–> Den ersten Teil finden Sie hier zum Nachlesen

–> Der dritte und letzte Teil folgt in Kürze

©Text: Michael Kathe

 

 

 

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