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René Eugster «Interview zum Mailing-Skandal»

Verpackt in einem Kuvert, düsterer Look und von Hand angeschrieben, sorgte diese Woche ein Mailing für einen Aufschrei in der Schweizer Werbewelt. Das Mailing, gestaltet wie eine Todesanzeige, wurde an die 250 wichtigsten Schweizer Werber des Landes geschickt. Wäre nicht die Post der Absender, hätte man vielleicht die Nase gerümpft und das Mailing wäre im Papierkorb gelandet. Da aber eines der Schweizer Traditionsunternehmen der Absender ist, berichtete sogar Blick-Online über «den Schweizer Mailing-Skandal».

Post_Agentur_am_Flughafen

Kreiert hat das Mailing nicht irgendeine, sondern eine der erfolgreichsten und national sowie international meistausgezeichnetsten Schweizer Dialogagenturen, die «Agentur am Flughafen». Diese versteht, wie man erfolgreiches Dialogmarketing macht. Der Inhaber und Kreativ-Chef René Eugster stand mir im Interview Red’ und Antwort.

Ein kleines Mailing schlägt hohe Wellen. Würden Sie es nach jetzigen Erkenntnissen wieder so machen?
Nein. Auf keinen Fall.

Wie um Gottes Willen konnten Sie eine Todesanzeige als Mailing kreieren?
Der Formulierung der Verantwortlichkeit in Ihrer Frage ist in diesem Zusammenhang etwas unglücklich. Nach Tausenden von Mailings, die die Agentur am Flughafen die letzten 24 Jahre kreiert hat, sind wir diesmal zu weit gegangen. Es war das falsche Mailing für den falschen Kunden. Für eine private Halloweenparty unter schwarzhumorigen Freunden würd’s sicher durchgehen. Jedoch ist das Thema Tod in der Werbung keine Erfindung von uns. Hochprämierte Spots (Edeka, X-Box, Volvo usw.) nehmen den Tod zum Anlass. Als ich vor bald einem Jahrzehnt in Cannes jurieren durfte, beurteilten wir in der Kategorie Direct so viele Mailings mit Särgen, dass unter den Juroren schon die Forderung nach einer eigenen Coffin-Kategorie fürs Folgejahr aufkam.

Als ich das Mailing im Büro sah, ging es mir wie den vielen anderen, welche das Mailing erhalten haben. Das i-Tüpfelchen war mit Bestimmtheit, dass das Kuvert von Hand angeschrieben war. Es sollte wohl so echt wie möglich aussehen?
Ja klar. Das Briefing des Kunden erforderte drastische Massnahmen, da viele bisherige Approaches der Post nicht beachtet, nicht geöffnet oder allerhöchstens belächelt wurden. Wir sollten eine hundertprozentige Öffnungsrate erreichen sowie beweisen, welche Wirkung Mailings haben. Technisch gesehen war alles richtig, ja sogar brillant, jedoch ethisch moralisch leider falsch, wofür wir uns nicht mehr als in aller Form entschuldigen können.

Es braucht viel bis es ein Mailing in die nationalen Medien schafft. Dass diese Geschichte gleich so hohe Wellen schlägt, muss auch Sie selber überraschen?
Wir haben mit dem Kunden die Konsequenzen sehr oft besprochen und darauf hingewiesen. Dass es aber durch die sehr gute mediale Vernetzung einiger Werber so hohe Wellen schlägt, haben auch wir unterschätzt. Wissen Sie, das letzte Mal wurde über unsere Branche ausführlich in den Medien berichtet, als bei der ersten Austragung des SDV Awards 1999 der Eventveranstalter auf die glorreiche Idee kam, Gold, Silber und Bronze von bodypainteten Nackedeien überreichen zu lassen. Eigentlich traurig, dass sich diese Branche, deren Leistungen rund ein Viertel des gesamten Werbekuchens ausmacht, trotz aller Anstrengungen nur durch Fehlleistungen Gehör verschaffen kann.

Dabei war die Zielgruppe sehr klein, das Mailing ging an ca. 250 Werber. Es gibt vermutlich nichts Schwierigeres als Werbung für Werber zu machen?
Selbstverständlich. Wir sind es aber gewohnt den Werbern auf der B2B-Schiene mittels Dialogkampagnen Druckereien, Printtitel, ÖV-Werbung, Sprachdienstleistungen usw. näher zu bringen. Wenn wir dabei Lob erwarten würden, dann wäre dies schlichtweg nur naiv. Wir befinden uns in einem Haifischbecken, in dem die Nahrung weniger und schwieriger zu fangen ist, was Neid und Missgunst schürt. Zudem leben wir in einer zunehmenden Empörungsgesellschaft.

Dass das Mailing polarisieren wird, war Ihnen bewusst. Was ich nicht verstehen kann ist, dass es keinen Plan B gab. Die Microsite abzuschalten kann nicht die Lösung sein. Gab es kein echtes Notfallszenario?
Schauen Sie, wir sind eine 10-köpfige Agentur, nicht der Entscheider.

Viele Branchenkollegen haben die Aktion in den sozialen Medien kritisiert (damit sind nicht die ersten Reaktionen gemeint, welche das Mailing kritisiert haben, denn da wusste noch niemand wer die verantwortliche Agentur ist, sondern jene, die später, als die Lawine schon losgetreten war, sogar Herr Eugsters Kinder beleidigten). Verständlich oder hätten Sie mehr Zurückhaltung erwartet?
Herr Seiler, wie gesagt, wir befinden uns in einem Haifischbecken. Der Aufschrei war gross. Zudem entstand die Chance in die Medien zu kommen. Wir haben nichts anderes erwartet. Hätten wir im Vorfeld Wetten abgeschlossen, hätte ich Ihnen sogar die Namen nennen können. Dass man von DM-Agenturen auf dem Land in der Werbeszene nicht allzu viel hält, wissen wir nicht erst seit den gehässigen Socialmedia-Einträgen. Was dann aber schon schwierig war, waren die Angriffe unter die Gürtellinie. Vor allem die auf mein Team und zuletzt auf meine Familie. Musste ich doch meine beiden Söhne davon abhalten auf Socialmedia auf einen primitiven Kommentar eines älteren, unterbeschäftigten Werbers, der sich verbal gegen meine Jungs richtete, zu reagieren.

Fühlen Sie sich im Stich gelassen? Wie gehen Sie aktuell mit der Situation um?
Als Unternehmer ist man immer allein. Ich übernehme auch die volle Verantwortung für mein ganzes Team und entschuldige mich nochmals in aller Form, dass wir zwar das Briefing erfüllten, jedoch für einmal einen Schritt zu weit gingen.

Sie selber sind ein mit Preisen hoch dekorierter Werber, sind aber nicht Mitglied des ADC’s. Fehlt dem Direktmarketing die grundsätzliche Akzeptanz in der Branche?
Zum ersten Teil der Frage: Ich bin inzwischen 52 Jahre alt. Es ist alles gut so wie es ist. Zum zweiten Teil: Ja, darum auch die Bemühungen der Post. Wobei, was verstehen Sie unter «die Branche»? Die Agenturen? Die Kunden wollen Werbung die wirkt bzw. verkauft.

Und es ist höchst anspruchsvoll gescheites Direktmarketing zu machen. Jedes Mailing ist messbar, der Druck kann brutal sein. Er kann aber auch Ansporn sein. Was mögen Sie am Direktmarketing?
Als gelernter Verkaufsleiter schätze ich es sehr gemessen zu werden, daraus zu lernen und etwas beim nächsten Mal besser zu machen. Das Leben besteht aus Fehlern und dem darauf folgenden Lernprozess. Ausser man weiss und kann halt schon alles, die Typen gibts in der Werbeszene auch. Ich meinerseits mache immer noch Fehler. Einer von denen führte zu diesem Interview, welches sonst nicht stattgefunden hätte. (Das letzte Mal wollten Sie mich noch zu meinen Tattoos interviewen, was ich doch dankend ablehnte).

Response ist im Dialogmarketing das Zauberwort. Diesbezüglich muss es ein sehr erfolgreiches Mailing sein?
Ja. Aber das erste Mal hätte ich gerne auf Response verzichtet. Wobei es ja schon so ist, dass diese Aktion auch moralisch kontrovers diskutiert wird. Zum charmanten Vorschlag eines Branchenkollegen, dass er als Kunde doch lieber Liebesbriefe erhalten würde, muss ich leider entgegnen, dass wir vor Jahren für einen B2B-Kunden eine Liebesbriefkampagne machten. Textlich gespickt mit Zitaten grosser Deutscher Dichter. Versehen mit einem PP-Stempel. Diese Briefe führten zu vereinzelten Telefonanrufen bei der Polizei wegen Stalking. Glauben Sie’s mir: Daran hätten wir nie gedacht.

Zum Schluss, warum ist Direktmarketing eine Werbeform, auf die man zwingend setzen muss?
Weil Sie wirkt und einen Dialog auslöst.

© Interview: Yves Seiler

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