Seiler's Werbeblog

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Thomas Wildberger «Die Ideenfabrik»

Der gebürtige Schweizer arbeitete ab 1996 als Texter und Creative Director bei Jung von Matt und Springer & Jacoby in Hamburg. Danach war er viele Jahre selbständig – zuerst als Freelancer, später mit seiner eigenen Werbeagentur Römer Wildberger in Berlin. Seit knapp 3 Jahren ist er Chief Creative Officer bei Publicis in Zürich.

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1. Sie waren 16 Jahre in Deutschland unter anderem bei Jung von Matt Hamburg. Wie war es unter dem legendären Werber Jean-Remy von Matt zu arbeiten?
Ich habe vor allem MIT ihm gearbeitet. Und mit zahlreichen anderen Koryphäen wie Deneke von Weltzien, Hermann Waterkamp, Stefan Zschaler und Oliver Voss. Das Phänomen Jung von Matt in den 90er Jahren lässt sich damit erklären, dass sich dort damals wirklich die Besten der Besten versammelt haben. Ist man mit einer guten Idee zu seinen Chefs gegangen, wurde daraus am Ende in sehr vielen Fällen ein Geniestreich. Und Jean-Remy war zweifelsfrei derjenige, der Ideen das Prädikat „genial“ am besten ansehen oder aufdrücken konnte.

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2. Sie wechselten dann zu Springer & Jacoby, zu einer der bekanntesten Agenturen in Deutschland, welche sehr viele Talente hervorgebracht hat. Können Sie es verstehen, dass eine solch legendäre Agentur an die Wand gefahren wurde?
Bei S&J war ich nur ein Jahr, bevor ich wieder zu Jung von Matt zurückgekehrt bin. In dieser Zeit um 1999 schien ein Ende unvorstellbar. In den Jahren danach hat man jedoch mitbekommen, dass sich die Situation in der Agentur, bedingt durch zahlreiche Management-Wechsel und auch Pech, nach und nach verschlechterte. Als schliesslich auch noch der Stammkunde Mercedes gekündigt hat, war das ein deutliches Zeichen und nur noch eine Frage der Zeit bis zur Aufgabe. Ein enormer Verlust und jammerschade.

3. Mit Alex Römer gründeten Sie dann ein Text-Free-Lance-Team und Ihr Auftragsbuch war von Anfang an prall gefüllt. Das müssen schöne Zeiten gewesen sein?
Ja, bis heute waren das die schönsten Zeiten meines Arbeitslebens. Jung, frisch, fröhlich, frei – und immer zum vollen Tagessatz ausgebucht.

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4. In dieser Zeit arbeiteten Sie für fast alle bekannten Kreativ-Agenturen. Wie kann man sich das vorstellen: hatten Sie jeweils ein eigenes Büro in den jeweiligen Agenturen oder führten Sie die Arbeit von Ihrem Basis-Büro aus?
Wir waren spezialisiert auf längerfristige Engagements. Daher hatten wir in den Agenturen ein festes Büro und lebten in Hotels. Nach zwei Jahren haben wir uns in Berlin-Mitte ein Büro gemietet und sind nur noch im Notfall rumgereist. So einer ergab sich 2004, als Publicis Frankfurt der Kreativ-Chef abhanden gekommen war. Wir sind ursprünglich für eine Woche runtergefahren und blieben am Ende 6 Monate. In dieser Zeit entwickelten wir eine Kampagne für Renault, und zwar von A bis Z. Wir übernahmen also auch die Produktion sämtlicher Werbemittel und flogen ein bisschen in der Weltgeschichte rum. Nach diesem Projekt reifte auch der Gedanke, irgendwann eine eigene Agentur zu gründen.

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5. Sie hatten die Chance und Möglichkeit in diverse Agenturen zu schauen. Die Zeit muss unglaublich lehrreich gewesen sein?
Jein. Am meisten habe ich bei Jung von Matt und S&J gelernt. Die 5 Jahre als Freelancer waren für etwas anderes gut: sie waren wie ein fünfjähriges Trainingscamp. Tag für Tag Ideen ausdenken zu müssen macht einen extrem fit im Kopf. W&V nannte uns damals „Die Ideenmaschinen“. Und noch heute denke ich mir bei jedem Briefing so viele Ideen wie möglich aus. Es könnte ja immer eine noch bessere dabei sein.

6. Ein junger Kreativer kommt zu Ihnen und möchte Ihren Ratschlag. Diese Person hat die Möglichkeit zu von Matt, Heimat, thjnk oder einer anderen Kreativ-Agentur zu gehen. Was raten Sie ihm? Grundsätzlich rate ich dazu, ins Ausland zu gehen – nach Deutschland oder nach England oder in die USA – und so lange wie möglich zu bleiben. Man lernt dort fürs Leben und das kann bei unserem Beruf nicht schaden. Welche Kreativ-Agentur es sein soll, ist dabei nicht so wichtig. Die Hauptsache ist, dass man in der richtigen Abteilung landet und mit den wirklich Kreativen zusammenarbeiten kann, dann lernt auch was. Wenn der Junge dann wieder nach Zürich zurückkommt, darf er sich gerne bei mir melden.

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7. Nach 16 Jahren hatten Sie genug von Deutschland und kehrten in die Schweiz zurück. Wovon hatten Sie genug? Was genau waren die Gründe für die Rückkehr?
Meinem Partner gefiel die überschaubare Grösse unserer Agentur, mir konnte es von Anfang nicht gross genug sein. Daher entschieden wir uns nach 5 Jahren, dass ich aussteige und er Römer Wildberger alleine weiterführt. Eigentlich witzig, dass ich das Grosse dann in der kleinen Schweiz gefunden habe.

8. Sie entschlossen sich für den Chef-Kreativ-Posten bei einer der besten Schweizer Agenturen. Kam die Selbständigkeit nicht in Frage?
Nein. Mir fehlte hierzulande zu Beginn das Netzwerk und ich hatte nach 10 Jahren auch erst mal genug vom selbständig sein.

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9. Sie waren sehr lange in Deutschland. An welche Schweizer Gepflogenheiten mussten Sie sich erst wieder gewöhnen? Man äussert in der Schweiz selten seine ehrliche Meinung. Weder wenn man etwas besonders toll, noch wenn man etwas besonders schlecht findet. Bei letzterem formuliert man lieber drum herum, angeblich um niemanden zu verletzen. Ich finde, das ist Quatsch. Solange man sachlich bleibt und nicht persönlich wird, kann Ehrlichkeit nur helfen. Freundlich im Ton, hart in der Sache, sagt man in Hamburg.

10. Ich beobachte die Agenturszene ziemlich intensiv. Mein Empfinden ist, dass Sie der Publicis einen echten Schub verpasst haben. Wie sehen Sie das selber?
Da ist bestimmt etwas dran. Dieses Jahr kommt hinzu, dass Publicis zum ersten Mal seit langer Zeit auf mehreren sichtbaren Kunden konstant gute bis sehr gute Qualität abliefert.

11. Ich möchte Ihre Arbeiten nicht werten, aber die Kampagne für Orell Füssli hat mich schlicht umgehauen. Eine perfekte Kampagne, so naheliegend, aber auf die Idee muss man erst kommen. Wie und wo kam sie Ihnen? Die Grundidee stammt von einem Texter, der leider nicht mehr bei uns arbeitet. Vermutlich stand ein Bücherstapel auf seinem Nachttisch und eines Tages fiel ihm auf, dass die Buchrücken zufällig den Satz „Der Richter und sein Henker“ „Erklären“ „Wachtmeister Studer“ „Die dunkle Seite des Mondes“ ergeben. Man kann also von Glück reden, dass es heute noch Menschen gibt, die nicht auf Kindle umgestiegen sind.

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12. Eine andere Kampagne ist die Aktuelle für die Frauenzentrale. Das Echo ist durchwegs positiv. Hätten Sie mit einem derart positiven Feedback gerechnet?
So etwas weiss man natürlich nie mit Sicherheit im voraus, aber ich hatte ein gutes Gefühl. Denn die Kampagne ist für eine sehr gute Sache – und sie ist auf den Punkt und hochprofessionell umgesetzt.

Plakat_Frauenzentrale_Haartrocknerin13. Ich behaupte, dass sich die Kampagne perfekt für einen Award eignet. Wird sie ins Rennen geschickt? Selbstverständlich. Und wenn die weiblichen Juroren dank der Kampagne nun genauso viel verdienen wie ihre männlichen Kollegen, dürfte das die Chancen auf einen Preis vielleicht sogar erhöhen.

14. Publicis hat sehr viele Kunden unter anderem Orange. Ich habe schon diverse Male gehört, dass es nichts Anstrengenderes gibt als für einen Telefonanbieter zu arbeiten, denn die Welt kann man nicht neu erfinden. Wie sehen Sie das? Das sind Klischees. Gute Arbeit ist immer anstrengend. Und wenn man sich anstrengt, fällt einem immer wieder etwas Neues ein. Bei Orange haben wir es geschafft, der Marke ein neues Gesicht und mit „Du kannst“ ein Versprechen zu verpassen, welches sich wirklich jeder merken kann.

15. Im April sind Sie drei Jahre in der Schweiz. Haben sich Ihre Wünsche und Träume erfüllt?
Ja. Ich habe endlich geheiratet. Sogar die Richtige.

Renault

© Yves Seiler

Bilder: zVg

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