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Michael Kathe: Seiler's Werbeblog

Michael Kathe «Michael rezensiert #6»

Michael Kathe arbeitet seit ein paar Tagen als Creative Director bei Serviceplan. Es freut mich ausgesprochen, dass er trotz seinem Wechsel, weiterhin den Plan hat, tolle Rezensionen für uns zu schreiben. Somit Vorhang auf für Runde 6!

***Pizza Hut: Homesick Alien und Near Death Experience.
Wir Menschen haben es gut, denn wir können die beste Pizza des Universums verschlingen, wenn wir wollen: die Grill-stuffed Crust Pizza von Pizza Hut. Aus diesem Wissen heraus folgert ein Alien, dass wir Menschen eine ausserordentlich überlegene und glückliche Rasse sein müssen. Und führt unter melancholischen Geigenklängen die aus seiner Perspektive relevanten Gründe an: Menschen haben keine Ozeane aus Lava, eine grosse Anzahl Finger, ein exzellentes Immunsystem … und Vieles mehr, das auch dem durchschnittlichen Science-Fiction-Fan die Tränen in die Augen schiessen lässt.

Pizzawerbung ist – neben Snacks und Schokoriegeln – in den USA schon seit den 90er Jahren derjenige Bereich in der Foodwerbung, in dem der Markt nur noch durch mit Ideen bewegt wird, die mit dem vollen Bewusstsein der Pop- und Filmindustrie allerhöchsten Schabernack treiben. Und mit der Sprache: „The grill-stuffed crust pizza proves that no one outpizzas the hut.“ Jeder Jugendliche versteht den unglaublichen Witz des Spot – und jeder Ex-Jugendliche ab Jahrgang 1970 ebenso.

*Sony Bravia: Glitter Baloons.
Pixel treffen auf Wohnraum, das ist seit dem berühmten Cannes-Winner-Spot von 2006 so. Was die Sonny-Bravia-Spots so beeindruckend machte, war die smoothe Art, wie Farbpixel in Form von Bällen oder Farbbeuteln unsere Welt eroberten und verschönerten. Im besagten Spot von 2006 träufelten die Bälle von oben herab nach San Francisco – den liberalsten Ort der Welt, aber auch den up-and-coming wirtschaftlich potentesten (Silicon Valley). Kurz: die Stadt der Zukunft. Im Folgespot zeigte Sony, dass nicht nur die kalifornische Elite sich an schönsten Farben erfreuen sollte, sondern auch sozial schwächere Leute: Menschen, die in Hochhäusern leben, eben. Und jetzt? In einem alten, verlassenen Casino schweben weisse Ballone, die, sobald sie platzen, einen atemberaubenden Glitzerregen verursachen. Als würde der alte Adel plötzlich zu neuem Glanz erwachen. Für Menschen ohne „Von“ im Namen irgendwie nicht so relevant. Und plötzlich scheint der Sony Bravia irgendwie zum alten Adel zu gehören. Die Welt von gestern.

***Under Armour mit Cam Newton: It comes from below.
Ein nächliches Feld, ein dunkler Wald. American-Football-Star Cam Newton rennt in Sportaus-Rüstung von Under Armour durch den Wald, wie ein Football Star das tun würde: er kümmert sich nicht um Hindernisse, die in dem Fall Bäume heissen. Er mäht sie einfach nieder, was unglaublich faszinierend aussieht – zu einem kämpferisch-poetischen Gedicht des Tierschützer-Schriftstellers Richard Adams („Unten am Fluss“), das perfekt in die Szenerie passt. Es geht um nichts weniger als den Überlebenskampf. „All the World will be your Enemy.“ Im Kampf um die besten Sportausrüster-Spots versucht Under Armour damit, Härte zu sich selbst und andern gegenüber als Tugenden zu vermitteln – während Adidas gerade auf Kreativität setzt („I’m here to create“) und Nike auf persönliche Grenzüberschreitungen („Unlimited“).

**Gant: Learn with Gant.
Modewerbung mal anders: Elegant und prägnant wie schöne Männerbekleidung – und mit einer verspielten Idee. Die ist einfach erzählt und gar nicht so dumm: so, wie man jede Saison der immergleichen Mode neue Namen verleiht, so kann man ja auch den Situationen neue, poetische Namen geben. Und die kann man mit Gant lernen: Flanieren Sie doch mal wie ein „Boulevardier“, achten Sie auf regenkonforme Kleidung, wenn das Wetter „dreich“ ist oder tragen Sie etwas atmungsaktiveres, wenn Sie Ihren Freunden einen „Membocheng“ gönnen. Nicht verpassen dürfen wir auch die deutschen Wörter, insbesondere die britische Aussprache von „schwuppdiwupp“ („schwappdiwapp“). Hier gibts künstliche Kulissen, fröhliche Synthie-Musik und eine zurückhaltend-charmante Off-Stimme. Modewerbung ist üblicherweise langweiliger und banaler – auch wenn der Claim „Never stop learning“ nicht sonderlich treffend ist.





***H&M: New Autumn Collection
H&M macht im neusten Spot Genderpolitik. Alles coole Frauen, doch sie verhalten sich, wie sie wollen – und das ist meist unladylike. Mit der Gabel die Essensreste zwischen den Zähnen herauspoolen, ein Bäuchlein haben, mit auseinander gespreizten Beinen in der U-Bahn sitzen, Pommes Frites essen und worst of all: langweilige Männergespräche verlassen. Die Musik ist perfekt gewählt: „She’s a lady“ von Macho-Urgestein Tom Jones wird hier von einem als Frauenduett (Lion Babe) dargeboten. Nicht mehr Tom Jones und die Männer sollen die Ansage machen, wer eine Lady ist, sondern die Frauen (– was natürlich mit Tom Jones im Hinterkopf totaler Frauenmachismo ist).

Do what you like – hauptsache der Style stimmt. Und der kann auf vielfältigste Weise stimmen: Boho-Style, Abendkleid, Männerkleider, Trash, oder auch Ladylike (mit einem Auftritt von Lauren Hutton). Der Spot soll uns beweisen, dass in unserer westlichen Gesellschaft zwar immer wieder reaktionäre Kleidervorschriften (vom Burkiniverbot bis zu Bauchfrei-T-Shirt-Verboten an Schulen) die offene Gesellschaft einzugrenzen versuchen, dass aber eine möglichst breite Kleiderauswahl für den globalen Kapitalisten H&M eine Art Kampfzone darstellt, die es zu verteidigen gilt. Und netterweise verbindet H&M mit den Kleidern gleich noch ein unverfrorenes, unweibliches Auftreten und begleitet ihre Konsumentinnen sogar ein wenig in die grösste aller freiheitsbeschränkenden Kampfzonen: Bäuchlein oder Transvestitenkörper statt Thigh-Gap und Bikinibridge.

Eine sehr schöne Weiterführung der letztjährigen Herbstkampagne, in der übrigens unter viel medialem Aufsehen der Hijab als „chic“ bezeichnet wurde.

H&M-Kampagne vom Herbst 2015:

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